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Ende der Trockenzeit


Stockfisch ist eine Lieblingsspeise der Italiener. Und für den besten Stoccafisso halten die Südländer den Dorsch von den Lofoten in Norwegens Norden, der hier einen Sommer lang an der Luft trocknet. Seit Jahrzehnten pflegt eine Kauffrau aus Genua die innige Verbindung zwischen den ungleichen Orten. Das Fischgeschäft ist hart. Eine Männerwelt. Kerle mit schwieligen Händen und wenigen Worten, denen an Umsatz gelegen ist, nicht an Freundschaft. Dazu die raue Kraft der Lofoten, Wind, der Plötzlich über die Inseln peitscht, Dunkelheit, Kälte, die einem feucht und klamm in die Knochen steigt. In Italien, obwohl zu großen Teilen vom Meer umgeben, ist die Lagerung von Fisch wegen der Hitze der Sommermonaten ein Problem. „Deshalb lieben wir Trockenfisch“, sagt Maria Cristina Rizzi, „er ist uns Italienern ins Blut übergegangen.“ 80 bis 90 Prozent der lofotischen Produktion, sagt sie, ginge nach Italien. „Es ist ein wenig wie bei der Winzerei“, so die Signora, „man muss viele Details kennen, um wirklich guten Fisch zu machen.“ 
Text: Paula Lambert


Den Humor zu behalten scheint auf den Lofoten überlebensnotwendig, Signora Rizzi verlor ihren nie. Wie sollte der Schweizer Fotograf Roger Hagmann die Kauffrau ansprechen? „Ihre Hoheit vielleicht“, meinte sie, um gleich hinzuzufügen: „Nennen Sie mich, wie Sie wollen. Aber niemals Mutter.“ www.mare.de

ENDE DER TROCKENZEIT - Durch die kleine Holztür sieht man das Meer, der Wind bewegt sie in den Angeln hin und her wie einen trägen Fächer. Trangestank in der Luft, dick wie Suppe, Kleister auf den Lungen. 50 Italiener zappeln um den kleinen Bottich herum, in dem in zähen Blasen die Dorschlebern köcheln, Aufregung wie im Kindergarten. „Riecht nur, riecht!“ Sie wollen sich den Spaß nicht verderben lassen von so einem bisschen Gestank. Ihre Kleider sind fein, Barbourjacken, Wollmäntel, zu fein vielleicht, weil der Stoff in Sekunden jeden Geruchspartikel aus der Luft filtert und jeden, der einmal hier drinnen war, in einen Sack toter Fische verwandelt.

Am Bottich steht Ragnar, ein Mann der Lofoten und also des Meeres, groß, hager, das Gesicht unbewegt wie ein Holzscheit und löffelt Fett aus dem Bottich, füllt den Tran in kleine Plastikgläser. Die Begeisterung der Italiener bekommt erste Risse. „Wie jetzt? Was? Zum Trinken?“ Ragnar nickt, die Mundwinkel unbewegt, hält die Becher hin. „Ist gesund“, sagt er, „spült den Körper durch und schenkt Gesundheit.“ Ein kleiner Mann löst sich aus der Gruppe, greift nach einem Becher und setzt an. „Runter in einem Zug“, sagt Ragnar, aber der Mann bringt es nur zu einem Schluck und ist froh darüber. „Ah“, sagt er, der neutralste Kommentar, der möglich ist, wenn man sich den Mund mit Öl benetzt hat, das nach tausend alten Fischen schmeckt, „interessant.“ Das zumindest entspricht der Wahrheit. Ein anderer Mann, den vollen Becher noch in der Hand, versucht sich an einer Erklärung. Sie hätten, sagt er, in Ancona eine Stockfisch-Akademie gegründet, einfach deshalb, weil sie den Trockenfisch mit so viel mehr Leidenschaft als andere Italiener äßen, dass es sich gelohnt hat, ein Hobby draus zu machen. Sie treffen sich einmal im Monat, um gemeinsam Stockfischrezepte auszuprobieren oder einfach nur darüber zu sprechen, wie wunderbar Stockfisch ist. Und darum seien sie jetzt hierher gereist, nach Henningsvær. „Sie müssen verstehen, dass es nicht vieles gibt, was den Polarkreis unmittelbar mit dem Mediterran verbindet. Diesen Umstand finde ich sehr faszinierend.“


Schuld an dieser Verbindung ist Maria Christina Rizzi.


Sie steht ein wenig abseits, fährt sich mit den Fingern durch das Haar, wo es nichts zu sortieren gibt, weil sie in regelmäßigen Abständen einen Kamm aus ihrer Tasche zieht. Signora Rizzi, 54 Jahre alt, den Kragen des Polohemdes hochgestellt wie Eric Cantona, lächelt, weil sie von hier einen guten Blick hat in die Gesichter ihrer Landsleute. Die kämpfen immer noch mit dem Dorschlebersaft. Selbst für eine Frau, die alles probiert, modrig duftenden „gefillte Fisch“ in Krakau, „Andouilette“ in Paris, deren Exkrementengeschmack sie wochenlang nicht vergessen kann, ist das ölige Gebräu zuviel, „wirklich“, sagt sie, „ich bekomme es nicht herunter. Aber sehen Sie nur, wie tapfer die sind.“ Seit knapp 30 Jahren leitet sie die Firma „Unifrigo“, die früher „Gismundi“ hieß und den Stockfisch nach Italien bringt. Zehn Prozent des landesweiten Bedarfs deckt sie damit ab, 20 Millionen Euro Umsatz pro Jahr. Man merkt ihr den Erfolg nicht an. Keine Allüren. „Ich spiele kein Golf, falls Sie das fragen wollten, auch wenn ich über 45 bin“, sagt sie, „keine Ahnung, warum jeder von mir erwartet, Golf zu spielen.“ Einfache Kleidung, auch hier das Gewebe vollgesogen mit tranigem Geruch. Wenn einer sagen würde, seht nur, dass ist unsere neue Sortiererin, man würde es ihm glauben.


Das Fischgeschäft ist hart. Eine Männerwelt. Kerle mit schwieligen Händen und wenigen Worten, denen an Umsatz gelegen ist, nicht an Freundschaft. Dazu die raue Kraft der Lofoten, Wind, der plötzlich über die Inseln peitscht, Dunkelheit, Kälte, die einem feucht und klamm in die Knochen steigt. Der Vater will nicht, dass sein einziges Kind, noch dazu ein Mädchen, sich hier die Hände schmutzig macht. „Du studierst etwas Vernünftiges“, sagt er, „Mädchen haben in der Fischerei nichts verloren.“ – „Oh, doch“, sagt sie, immer schon mit unbändiger Lust am Leben gesegnet, „das ist genau das Geschäft, das mich interessiert.“ Der Vater, seufzend, verbirgt ein ums andere Mal das Gesicht in den Händen, und die Tochter, nicht gänzlich ungezogen, tut ihm den Gefallen, ein wenig Zeit mit dem Studium der Kunst- und Literaturwissenschaften zu verbringen. Kunst interessiert sie, das Erschaffen von Neuem aus sich selbst heraus. Aber da hat sie schon längst zu viel vom Meer und von den Lofoten gesehen, das Salz und den Gestank in der Nase gehabt und kann die klare Einfachheit von Nehmen und Geben der Natur nicht mehr aus dem Kopf bekommen.


In den Jahren darauf verbringen Vater und Tochter eine Menge Zeit damit zu streiten. Je mehr die Tochter über das Geschäft wissen will, desto sturer stellt sich der Alte. Als Maria Christina mit 21 Jahren für sechs Monate auf die Lofoten geht, um das Produkt genau verstehen zu lernen, hofft der Vater, dass sie danach die Nase voll haben würde. Sie ackert in der Produktionshalle, packt hunderte verdorrter Fischleiber hierhin und dorthin und wäscht sich abends unter einer kärglichen Dusche den schrecklichen Gestank ab, der kaum der Seife weicht. Als sie zurückkehrt, macht sich der Vater über ihr bäuerisches Norwegisch lustig. Während er, der selbst gestochen scharf parliert, intellektuelle Dispute halten kann, spricht seine Tochter, willensstark und mit einer energischen Nase ausgestattet, wie ein alter Seemann. Nach einem großen Krach wirft sie hin und gründet mit Freunden eine eigene Firma, in der sie mit Tiefkühlfischen handelt. Was ihr fehlt, ist das Gefühl, im Einklang mit der Natur zu handeln, mit Menschen, denen Traditionen etwas bedeutet. Sie ist nicht unglücklich, weiß aber, dass sie längst nicht am Ziel ist. Nach zwei, drei Jahren gibt der Alte klein bei. „Wenn du so entschlossen bist, dann ist es vielleicht besser, wenn du für die Familie arbeitest“, sagt er und geht sofort in den Ruhestand, um das Verhältnis nicht weiter zu belasten. „Das Fischgeschäft muss man wollen“, sagt sie, „sonst kann man nicht bestehen.“


Das Geschäft mit dem getrockneten Fisch ist Jahrhunderte alt. Mitte des 16. Jahrhunderts beschließt das Konzil von Trient, dass es Katholiken an Freitagen nicht mehr erlaubt ist, Fleisch, Milch oder Eier zu verzehren. So kam es, dass vor dem Wochenende Fisch gegessen wurde. In Italien, obwohl zu großen Teilen vom Meer umgeben, ist die Lagerung von Fisch wegen der großen Hitze der Sommermonate ein Problem. „Deshalb lieben wir Trockenfisch“, sagt Maria Christina Rizzi, „er ist uns Italienern ins Blut übergegangen.“ 80 bis 90 Prozent der lofotischen Produktion, sagt sie, ginge nach Italien. „Es hat nie jemand herausgefunden, warum sich der Stockfisch nicht auch in anderen Ländern durchgesetzt hat.“


Vielleicht ist es eine Frage des Marketings. Der Urgroßvater ist der erste, der auf die Idee kommt, mit den Produzenten auf den Lofoten direkt Geschäfte zu machen. Der Mann, der ihm besonders vertrauenswürdig erscheint, ist ein gewisser Ragnar, ein Vorfahr des heutigen Ragnar, der gerade Öl an die Italiener verteilt. Der Großvater muss ein gutes Gespür gehabt haben. Es gibt ein Abkommen von 1922, seitdem laufen die Geschäfte per Handschlag.


Stoccafisso, den echten Stockfisch, gibt es nur hier. „Bacalau, wie ihn die Portugiesen und Spanier essen“, sagt Maria Christina Rizzi, „nein, das ist einfach nicht das selbe.“


Aber bitte, Signora Rizzi, Sie müssen doch zugeben, dass die Produktionsvorgänge sehr ähnlich sind. Im Grunde ist es doch nur getrockneter Fisch!


„Ha! Ein Irrtum“, sagt sie und wischt sich über das Haar, „Bacalau wird gesalzen und inzwischen sogar künstlich getrocknet. Mit Stockfisch ist es wie mit Champagner. Er kann nur hier hergestellt werden. Alles andere ist nicht mehr als ein Plagiat.“ Sie führt einen jetzt eine schmale Stiege hinunter, hinaus vor das Haus. Von oben tröpfelt das Lachen der italienischen Gruppe. Weiter vorne sieht man die Brücke, die nur nächsten Insel führt. Diese hier, Savøya, gehört Ragnars Familie. „Eine Privatinsel, das hat schon was“, sagt sie und entblößt eine Reihe weißer Zähne, „das hat schon etwas von Onassis, nicht wahr?“ Die Insel ist nicht sehr groß, vielleicht grob geschätzt 200 mal 200 Meter. Etwas weiter hinten steht ein grau angestrichenes Wohnhaus aus Holz. Vorne sind ein Bürogebäude und eine Lagerhalle und ein weiteres Gebäude, in dem sich früher eine Fischmehlfabrik befand. Daneben sind Holzrecks aufgestellt, einfache Gestänge, zusammengeschoben wie ein Spitzdach mit einer Menge Querlatten. Darauf wird der Fisch zum Trocknen aufgehängt.


Gejagt wird der Dorsch im Winter. Wenn die Schwärme im Januar zur Paarung nach Norwegen kommen, sind die Fische ausgezehrt und nahezu frei von Fett. Ohne Kopf und Innereien werden jeweils zwei am Schwanz zusammengebunden und zum Trocknen aufgehangen. Je nach Größe des Fisches dauert das vier bis fünf Monate. In dieser Zeit werden aus einem Kilo Frischfisch etwa 220 Gramm Trockenfisch, ein Fischkonzentrat, wenn man so will. „Das besondere der Gegend“, sagt Frau Rizzi, „sind die klimatischen Bedingungen. Es ist kalt, ohne dass es Dauerfrost gibt, es ist feucht, ohne nass zu sein und ist es manchmal mild, dann nie so, dass es wirklich heiß würde.“ Fünf Grad Celsius, etwas Wind, nasser Schnee und ein wenig Regen, das sind die Idealbedingungen für den Stockfisch. „Es ist ein wenig wie bei der Winzerei“, sagt Maria Christina Rizzi, „man muss viele Details kennen, um wirklich guten Fisch zu machen.“


In der Halle lagert der Stockfisch auf hunderten von Paletten, geschichtet und nach Qualität sortiert. Allein für den italienischen Markt gibt es 15 unterschiedliche Qualitäten, Gewicht, Farbe, Größe, Geruch, all das spielt eine Rolle. Hinter einer Maschine sitzt Arild, rotgesichtig, in den Fünfzigern wie Ragnar, im Grunde ein Bruder, denn sie kennen sich vom ersten Tag ihres Lebens. Die Maschine dient dazu, den obersten Halswirbel der Fische abzudrehen. Arild nimmt jeden Fisch und schnuppert hinein. Nicht selten steigt ein beißender Ammoniakgeruch auf, je nach dem, wie gut der Fisch durchgetrocknet ist. Tag für Tag, acht Stunden lang, hält Arild seine Nase hin, weil er als einer der wenigen in der Lage ist, sehr gute von guter, und mäßiger von minderwertiger Ware zu unterscheiden. Man kann sich nur ungefähr vorstellen, was die Ausdünstungen mit seinen Schleimhäuten anrichten. Einmal, sagt Maria Christina, hätten Ragnar und sie Arild, der noch nie weiter südlich als bis Å an der lofotischen Küste gekommen war, mit nach Italien genommen. Es sei traumatisch für ihn gewesen, sagt sie, von der Stille des Archipels in den alptraumhaften Verkehr Genuas geschleudert zu werden. Auch das Essen habe er nicht gut vertragen und nach der Rückkehr sei seine Reiselust ein für alle Mal gestillt gewesen. Die Erinnerung daran bringt sie zum lachen, Arild nicht, er schnüffelt und wirft die trockenen Fischleiber in die richtigen Kisten.


Ragnars Firma, auf deren Firmenlogo ein Seeadler, vier Dorsche und der Namenszug Ragnar zu sehen sind, verarbeitet jährlich 2000 Tonnen Dorsch zu Stockfisch. 90 Prozent davon gehen nach Italien, der Rest, vor allem Fischköpfe und Stücke minderer Qualität, werden nach Nigeria verkauft. „Ich weiß, dass das bitter klingt“, sagt sie, „aber es war immer schon so.“ Die Fischköpfe lagern draußen vor der Halle unter einem Vordach. Kurz vor der Verschiffung werden sie in Leinensäcke eingenäht. Auf nigerianischen Märkten werden sie dann angeboten, um Suppe daraus zu kochen.


Früher, Mitte des 20. Jahrhunderts, waren es 6000 oder 7000 Tonnen. Aber nun, da jeder einen Kühlschrank besitzt, verkommt Stockfisch zu einem special product, mehr eine Liebhaberei als ein Grundnahrungsmittel. Die Wirtschaftskrise hat auch in den Stockfischmarkt eine Kerbe geschlagen. Weil die Preise für eingelegten Fisch dramatisch gefallen sind, haben sich viele Hersteller entschieden, Stockfisch zu produzieren, weil Stockfisch zwei, drei Jahre haltbar ist. Es ist ein geduldiges Erzeugnis. Doch die Überproduktion lässt die Preise weiter abstürzen. Sie kauft und verkauft pro Jahr 150 Tonnen Stockfisch. Es ist ein Geschäft, das sich trägt, sagt Maria Christian Rizzi, aber es ist kein gutes Geschäft mehr.


Am Abend serviert Ragnar frische Flunder, in Meerwasser gegart. Dazu gibt es neue Kartoffeln, Möhren und zerlassene Butter mit Eiwürfelchen. Vilde, die 14jährige Tochter von Ragnar und seiner Frau Grethe sitzt schmollend am Tisch, stopft Würstchen in die Backentaschen, dazu Ketchup und Toastbrot. „Verdammter Fisch, ich kann den nicht mehr sehen.“ Sie flucht über die Qual, 14 zu sein, „es ist einfach Mist“, da helfen auch die Würste nicht. Maria Christina Rizzi, drüben am Fenster. „Stört es, wenn ich rauche? Es ist albern, ich habe ja erst mit 20 angefangen. Und mit 30 habe ich das erste Mal Wein getrunken. Es würde mich wirklich nicht wundern, wenn ich mit 80 heiraten würde. Ich mache alles etwas zeitverzögert.“ Sie pafft kleine Wölkchen vor sich hin, Ragnar, der erst sechs Wochen zuvor aufgehört hat, sieht angestrengt woanders hin.


Eigentlich wären sie ein schönes Paar, Ragnar und Maria Christina. Es wäre die ideale Verflechtung von Nord und Süd, von Business zu Business. Sie kennen sich seit sie 15 und er 17 war. Ihre Großeltern haben ja bereits Geschäfte miteinander gemacht, und später saß Maria Christinas Mutter mit der von Ragnar auf der Terrasse und blickte aufs Meer hinaus, kurz bevor er geboren wurde. „Wir haben noch nie gestritten“, sagt Maria Christina, „das ist doch eigentlich komisch.“ – „Wir sind eben beide sehr tolerant“, sagt Ragnar, der nicht gerade ein geschwätziger Mann ist, „daran muss es wohl liegen.“ Unten am Steg lässt sich Ragnars kleines Boot von den Wellen gegen den Steg schaukeln. Wenn ihm nach noch mehr Stille ist, fährt er raus aufs Meer, angelt dort ein paar Fische fürs Abendessen. Um diese Jahreszeit ist der Himmel selbst um Mitternacht nicht richtig dunkel. Noch ist ja der Winter weit weg, wenn für zwei Monate das Licht ausgeht.


Über Nacht ist es warm geworden, 18 Grad, fast eine Hitzewelle. Die Luft ist drückend, über den Inseln liegt schwerer Dunst wie ein Deckel. Ragnar wartet am Auto, eine 1971er Mercedes-Limousine, die früher Carlo Alberto Rizzi gehört hat. Endlich kommt auch Maria Christina, einen schäbigen Plastikkoffer hinter sich herziehend. „Was schauen Sie so“, sagt sie, „ich weiß, dass ich aussehe wie eine Albanerin. Aber das Ding ist todsicher. Ich könnte Goldbarren darin transportieren, und niemand würde auf die Idee kommen, den Koffer zu öffnen. Riechen Sie mal dran, wie der nach Fisch stinkt!“ Ragnar wuchtet den Koffer in den Fond. Der Mercedes zuckt unter dem Gewicht zusammen. Neben dem Nummernschild ist eine CC-Plakette angeschraubt, „Corps Consulaire“. Maria Christina Rizzis Vater war Honorarkonsul der Republik Island, ein aus Fischhandelsbeziehungen entstandenes Amt, dass die Tochter übernommen hat. „Ich helfe den Armen Touristen, wenn sie mal wieder jemand ausgeraubt wird“, sagt sie. „Na, nicht, dass es mir jemand danken würde. Früher hieß es immer, So, so, Island, dieses schreckliche Walschlächterland. Dann hieß es, Ach, Island, wie schön es da ist. Und inzwischen sagen die Leute, Pfui, die Isländer, die haben mir mein Geld gestohlen!“ Das Flugzeug verlässt Svolvær pünktlich. Es regnet in Strömen, die grünen Inseln und die zerfressen aussehende Küstenlinie verschwinden im Nebel.


Genua ist alles, was die Lofoten nicht sind. Braun und staubig, heiß und unglaublich laut. Maria Christina Rizzis Büro liegt im achten Stockwerk eines hässlichen Gebäudes im Zentrum. Vor den Fenstern breitet sich die Innenstadt aus, man sieht die Kathedrale an der Via San Lorenzo. Innen sind die Wände mit alten Seekarten behängt. Es ist still, die meisten der 15 Angestellten sind in der Mittagspause. Die Klimaanlage hechelt kalte Luft in den Raum. Die Signora trägt jetzt keine ausgewaschenen Jeans und Polohemden mehr, sondern einen Rock, eine Bluse und etwas Goldschmuck. „Es ist ja so“, sagt sie, „dass in meinem Leben das eine ohne das andere gar nicht mehr existieren könnte. Wäre ich die ganze Zeit in Genua, würde mir ein Ruhepol fehlen, ein grüner Fleck zum Luft schnappen. Nur auf den Lofoten leben könnte ich aber auch nicht. Die Dunkelheit im Winter erdrückt mich fast, dazu der Mangel an Zerstreuung. Ich glaube, ich habe es ganz gut hinbekommen, mir von beidem das Beste zu nehmen.“


Es ist kein einsames Leben, aber es ist eines, das von Arbeit bestimmt wird. Häufig fährt sie in die kleine Fabrik, in der der Fisch portioniert und weiter verarbeitet wird, dazu müssen Käufer akquiriert werden. Den Haushalt in der kleinen Villa im Zentrum Genuas führt eine junge Frau, die sich auch um die beiden Hunde kümmert, wenn die Signora unterwegs ist. Es seien zwei Straßenköter, sagt sie, hoffnungslos verzogen und verwöhnt, „aber ich habe immer ein Herz gehabt für Lebewesen, die ein wenig kämpfen mussten.“ Darum engagiere sie sich in einem Verein, der Hunde von der Strasse holt, es sei eine kleine Sache, aber es gebe ihr ein gutes Gefühl, sich ein bisschen nützlich zu machen. „Und jetzt“, sagt sie und steht mit einem Ruck auf, „jetzt gehen wir Stockfisch essen.“


Es gibt unzählige Arten, Stockfisch zuzubereiten. Die Venezianer etwa kochen ihn in Milch und Olivenöl drei Stunden auf kleiner Flamme. In Genua aber wird er mit Kartoffeln, Oliven, Pinienkernen und einer leichten Tomatensoße serviert. Gedanken an die Lagerhalle werden wach, an den Geruch, an den vergeblichen Versuch, das fischige vor dem Rückflug aus den Haaren zu waschen. Auf dem Teller sieht der Stockfisch harmlos aus. Seine Konsistenz ist elastisch, ein wenig wie Gummi. Aber schmecken tut er tatsächlich gut. Wie Fisch eben. „Was haben Sie denn erwartet“, sagt Maria Christina Rizzi, „ich verkaufe doch nichts, von dem ich nicht selbst überzeugt bin!“ Text: Paula Lambert